Vergabeverfahren: auch kurzfristige oder als Übergang gedachte Aufträge unterliegen den vergaberechtlichen Schwellenwerten.

10. Oktober 2025 - Vergaberecht

Der öffentliche Auftraggeber hatte im Wege der Interimsvergabe Reinigungsleistungen vergeben. Eine Bieterin beanstandete, dass die Leistungen ohne ordnungsgemäßes europaweites Vergabeverfahren beauftragt worden waren, obwohl der geschätzte Auftragswert einschließlich der Verlängerungsoption den maßgeblichen EU-Schwellenwert überschritt. Sie machte geltend, dass eine rechtswidrige De-facto-Vergabe vorliege, und beantragte die Feststellung der Unwirksamkeit der geschlossenen Verträge.

Die Vergabestelle trug vor, die beauftragten Leistungen dienten lediglich der Überbrückung bis zur Durchführung eines regulären Verfahrens und fielen daher nicht unter die Pflicht zur EU-weiten Ausschreibung. Zudem handele es sich um monatlich neu vergebene Leistungen von kurzer Laufzeit.

Die Vergabekammer des Bundes stellte klar, dass auch bei Interims- oder Übergangsverträgen das europäische Vergaberecht Anwendung findet, wenn der Gesamtwert einschließlich etwaiger Verlängerungsoptionen die Schwellenwerte nach § 106 GWB überschreitet. Eine künstliche Aufteilung in mehrere zeitlich begrenzte Einzelverträge ist unzulässig, wenn diese wirtschaftlich eine einheitliche Beschaffung darstellen.

Zugleich entschied die Kammer, dass bei sogenannten De-facto-Vergaben keine Rügepflicht besteht. Bieter können daher unmittelbar einen Nachprüfungsantrag stellen, ohne zuvor nach § 160 Abs. 3 GWB rügen zu müssen. Die Antragstellerin hatte ihre Beanstandung hinreichend substantiiert; die formellen Voraussetzungen lagen vor.

Im Ergebnis stellte die Vergabekammer fest, dass der Auftraggeber durch die unterlassene Ausschreibung die Rechte der Antragstellerin aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt hat. Die geschlossenen Verträge wurden gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB für unwirksam erklärt. Der Auftraggeber wurde verpflichtet, bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht ein neues, ordnungsgemäßes Vergabeverfahren durchzuführen. Die Kosten des Nachprüfungsverfahrens hat die Vergabestelle zu tragen, einschließlich der notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin.

Die Entscheidung verdeutlicht, dass auch kurzfristige oder als Übergang gedachte Aufträge den vergaberechtlichen Schwellenwerten und Dokumentationspflichten unterliegen. Eine Aufspaltung in Monatsverträge entbindet nicht von der Pflicht zur EU-weiten Ausschreibung. Auftraggeber haben den Auftragswert nachvollziehbar zu kalkulieren und die Beschaffungsentscheidung transparent zu dokumentieren. Unterlassene oder verspätete Verfahren führen regelmäßig zur Unwirksamkeit der Zuschläge und können erhebliche Verzögerungen und Kostenfolgen nach sich ziehen.