Im Verfahren Verg 7/23 hatte das Kammergericht ein europaweites Verhandlungsverfahren zur Beschaffung sicherheitsrelevanter technischer Systeme zu prüfen.
Die Vergabestelle hatte während der laufenden Angebotsphase mehrere ursprünglich verpflichtend festgelegte technische Anforderungen verändert. Leistungsmerkmale, die in den Vergabeunterlagen ausdrücklich als zwingende „Muss-Kriterien“ bezeichnet worden waren, wurden ohne Neuausschreibung und ohne Anpassung der Fristen zu bloßen „Kann-Anforderungen“ herabgestuft. Parallel dazu wurde ein zunächst ausgeschlossener Bieter aus einem Drittstaat – dessen Teilnahme mit Hinweis auf fehlende Marktzugangsabkommen zunächst verneint worden war – wieder in den Wettbewerb aufgenommen. Ein Mitbieter beanstandete diese Vorgehensweise und rügte eine Veränderung der wesentlichen Wettbewerbsbedingungen im laufenden Verfahren.
Das Kammergericht analysiert die rechtlichen Grundlagen solcher Verfahrensänderungen und befasst sich insbesondere mit der Frage, inwieweit eine Vergabestelle während der Angebotsphase inhaltliche Änderungen an den Ausschreibungsunterlagen vornehmen darf. In den Entscheidungsgründen führt das Gericht aus, dass die eingangs festgelegten Muss-Kriterien die inhaltlichen Leitplanken des Wettbewerbs bilden. Sie bestimmen, welche technischen und funktionalen Mindestanforderungen für alle Bieter gleichermaßen gelten und bilden damit einen zentralen Bestandteil der Vergabeunterlagen. Werden solche Kriterien im laufenden Verfahren relativiert oder in ihrer Wertigkeit herabgesetzt, verändert der Auftraggeber die Struktur des Wettbewerbs grundlegend.
Die im Verfahren vorgenommene Umwidmung von Muss- zu Kann-Kriterien stellt nach Auffassung des Kammergerichts einen Eingriff dar, der das Verfahren aus dem Gleichgewicht bringt. Ein solcher Schritt darf nicht ohne neu aufgesetztes Verfahren erfolgen; erforderlich wäre eine formelle Neuausrichtung des Verfahrens mit ordnungsgemäßer erneuter Bekanntmachung, damit alle potenziellen Marktteilnehmer die Möglichkeit erhalten, ihre Angebote an den veränderten Rahmenbedingungen auszurichten. Eine bloße interne Mitteilung oder eine informelle Anpassung der Unterlagen reicht hierfür nicht aus.
Hinzu kam, dass die erneute Zulassung eines Drittstaatenbieters die Wettbewerbssituation veränderte. Das Gericht betont, dass eine solche Entscheidung den übrigen Bietern nur dann zugemutet werden kann, wenn sie zugleich die Möglichkeit erhalten, ihre Angebotsstrategie unter den geänderten Voraussetzungen anzupassen. Dies war hier nicht der Fall.
Der Vergabestelle wurde aufgegeben, das Verfahren vollständig in den Stand vor Beginn der Angebotsphase zurückzuversetzen und die Anforderungen, Kriterien und Teilnahmevoraussetzungen in einem neuen, ordnungsgemäß bekanntgemachten Verfahren festzulegen.
Office Hanau / Sophie Scholl Platz 6 / Hanau
E-Mail info@nickel.de
Tel +49 (0)6181 30410-0