Der Entscheidung lag ein europaweites Verhandlungsverfahren zur Lieferung und Wartung technischer Systeme zugrunde. Im Verlauf des Vergabeverfahrens hatte der Auftraggeber bestimmte Eignungsanforderungen, die in den Vergabeunterlagen als „Muss-Kriterien“ bezeichnet waren, im Zuge der Angebotsphase faktisch zu „Kann-Kriterien“ abgeschwächt. Zudem hatte er einen Bieter aus einem Drittstaat zunächst ausgeschlossen, dann aber wieder in das Verfahren einbezogen. Ein konkurrierender Bieter machte geltend, das Verfahren sei wegen willkürlicher Änderung der Anforderungen und unzulässiger Gleichbehandlung eines Drittstaaten-Bieters vergaberechtswidrig.
Das Kammergericht stellte klar, dass die nachträgliche Änderung von verbindlichen Eignungsanforderungen im laufenden Verfahren gegen den Transparenz- und Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 97 Abs. 1 und 2 GWB) verstößt. Ein Auftraggeber ist an die in den Vergabeunterlagen festgelegten Mindestanforderungen gebunden und darf diese weder nachträglich abschwächen noch unterschiedlich anwenden. Ebenso betonte das Gericht, dass es keinen generellen Ausschluss von Bietern aus Drittstaaten gibt. Die Entscheidung über deren Zulassung oder Nichtzulassung liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Auftraggebers, der dies im Vergabevermerk nachvollziehbar zu begründen hat.
Die Begründung des Gerichts beruht auf dem Grundsatz der Rechtssicherheit: Bieter müssen sich auf die ursprünglich veröffentlichten Anforderungen verlassen können. Eine nachträgliche Relativierung von „Muss-Kriterien“ gefährdet die Vergleichbarkeit der Angebote und damit die Chancengleichheit. Die Zulassung von Drittstaaten-Bietern ist dagegen keine Rechtsverletzung, sofern sie sachlich begründet und diskriminierungsfrei erfolgt.
Die Entscheidung verdeutlicht die Pflicht öffentlicher Auftraggeber, in Verhandlungsverfahren an den bekanntgemachten Anforderungen festzuhalten und Änderungen nur im gesetzlich zulässigen Rahmen – etwa über eine formale Aufhebung oder Neuveröffentlichung – vorzunehmen. Die Begründung von Zulassungen oder Ausschlüssen von Drittstaaten-Bietern muss dokumentiert, aber nicht pauschal restriktiv gehandhabt werden.
Da das deutsche Vergaberecht unmittelbar auf den EU-Vergaberichtlinien basiert, sind die Grundsätze der Entscheidung unionsweit relevant. Die Forderung nach Stabilität der Vergabeanforderungen und sachgerechter Dokumentation gilt in gleicher Weise für alle Mitgliedstaaten.
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